Das Lieblingsessen von Abou Fattoush, in hervorragender Qualität auch in Palästina erhältlich
DIE KLARINETTE, EPISODE 3
Ich bin dann noch einige Male in Israel und Palästina gewesen, habe mit dem Gitarristen Michel Sajrawi eine Tour gespielt und bin auch einmal nur so zum Spaß hingefahren, um den Bekannten guten Tag zu sagen.
Dann erreicht mich wieder eine von diesen Mails, diesmal von einem gewissen Mohamed Najem. Drei Kilometer lang, unendlich höflich, fast ein bisschen übertrieben, und ich frage mich nach der ersten Seite, was der Gute eigentlich von mir will. Irgendwann kommt er auf den Punkt, ich werde also - sinngemäß - gefragt, ob “Seine Durchlaucht“, der Akkordeonspieler, sich unter Umständen vorstellen könnte, nach Ramallah zu reisen, um auf seiner neuesten (und ersten!) CD mitzuspielen. Die Bedingungen wären auch sicher kommod, das könne man arrangieren ...
Da hätte ein einzelner Satz vollauf genügt. Ich frage Freund Kinan. Der sagt mir, Mohamed sei ein feiner Kerl und guter Musiker. Jetzt kann man ja heutzutage auf Youtube auch sehr leicht nachsehen und hören, mit wem man es zu tun hat, und ich spüre eine große Ernsthaftigkeit, in dem was Mohamed tut. Und wie immer schicke ich im angemessenen Abstand meine Antwort, diesmal mit selbstgebastelter Flagge.
Mit von der Partie sind diesmal Dimitri Mikelis (Oud, Klavier, Bouzouki) und Tareq Rantissi (Percussion, kenne ich den nicht schon? War das nicht der langhaarige Rebell meiner zweiten Palästinatour?), der aus den USA dazukommt. Ich werde gebeten, einen Bassisten vorzuschlagen, und da kenne ich einen: Antoine Pütz, der Mann für wirklich alle Fälle. Eine Band, in der Antoine dabei ist, ist in jedem Fall eine bessere Band. Die "Auftraggeber" lassen sich überzeugen, Antoine ebenso. Also steigen wir in die Planung ein.
Ich kann diese Reise noch mit einem Auftritt beim Jazz Festival in Amman mit Kinan Azmeh und Dima Orsho verbinden, und vereinbare noch ein Duokonzert mit Antoine beim französischen Kulturinstitut in Ramallah. Alles paßt! Die einzige Bedingung, die ich stelle ist, nicht in einem dieser Fancy-Hotels untergebracht zu werden, wie es sie auch in Ramallah zuhauf gibt. Ich möchte ins Royal Court. Wie immer.
Und so reisen Antoine und ich Mitte Juni 2014 über Tel Aviv nach Ramallah.
Kleiner Exkurs: Da es immer schwieriger wird, mein Instrument mit ins Flugzeug zu nehmen, ohne einen Extrasitz zu kaufen, komme ich irgendwann auf folgende Lösung:
Ich trenne den Bass vom Diskant und packe die beiden Teile jeweils in ein Trompeten-Gigbag. Den sensiblen Bassteil habe ich als Handgepäck dabei, der Diskant ist zusätzlich gut gepolstert zusammen mit den Werkzeugen, die ich zum Teilen und Wiederzusammenbauen brauche in einem Hartschalenkoffer und geht ins Aufgabegepäck. Im eigentlichen Akkordeon-Gigbag sind meine Sachen. Dabei enstehen zwei neue Probleme:
Erstens könnte der Koffer in Abu Dhabi landen und ich woanders. Ein Konzert nur mit dem Bassteil ist wenig überzeugend.
Zweitens ist es nicht leicht, einem Grenzbeamten, der nicht mal ein ganzes Akkordeon kennt, die Hälfte davon zu erklären.
Alles geht gut ...
UPDATE 2018
Seit ich im SITA - Report gelesen haben, daß statistisch von 139 Koffern einer nie oder verspätet oder demoliert ankommt, gehe ich das Risiko nicht mehr ein. Mein "Käschtle" bleibt ab jetzt wieder beieinander, und es braucht einen zweiten Sitz.
RAMALLAH
Downtown Ramallah
Wir erreichen die Stadt am frühen Morgen gegen 3 Uhr. Der Taxifahrer bringt uns zum Hotel, und ich kenne den Mann an der Rezeption. Wir freuen uns herzlich über das Wiedersehen, stellen dann aber fest, daß unsere Buchung zwar ab dem 18.6. gilt, das Zimmer aber erst um 12 Uhr bezogen werden kann, also in neun Stunden! In unseren Zimmern schlafen gerade andere Leute. Wer hat das bloß gebucht ... Aber Ramallah wäre nicht Ramallah und das Royal Court nicht das Royal Court, wenn da nicht eine Lösung gefunden werden könnte. Der Rezeptionist telefoniert ein wenig, und wir können für die erste Nacht in ein anderes Hotel umziehen.
Mohamed ist am nächsten Tag pünktlich zur verabredeten Zeit am Hotel. Er ist sehr, sehr freundlich, aber auch sehr nervös. Er hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dieses CD-Projekt zu verwirklichen, er hat Tareq Rantissi aus den USA herübergeholt, Antoine und mich aus Deutschland, einen Proberaum besorgt und Unterkünfte und das Tonstudio gebucht. Ziemlich viel Kleinkram, ich kenne das. Und nicht zu vergessen: Zuvor muß man ja auch erstmal die Musik geschrieben haben, die man aufnehmen möchte. All das hat er zusammen mit seinem Produzenten Samer Jaradat und dem Arrangeur Dimitri Mikelis über ein Jahr lang geplant. Und wenn es dann plötzlich so weit ist, kann man auch mal nervös sein. Speziell mit knapp 30. Wir fahren zu unserem Proberaum im Konservatorium.
Vom Alter her könnte ich Mohameds Vater sein, und unser Verhältnis geht anfangs auch ein bisschen in diese Richtung. Ich habe halt inzwischen fast immer die meiste Erfahrung, das Alter ... Und wenn ich in all den vielen Jahren eines gelernt habe, ist es, die Nerven zu behalten im Studio. Wir sind gute Musiker, wir haben jeder für sich geübt, unsere Hausaufgaben gemacht, und wir proben jetzt zusammen. Was soll passieren? Also schaffen wir zusammen es relativ schnell, dem Hauptkünstler die Sicherheit zu geben, die er in dieser Situation braucht.
Dann, nach drei Tagen geht es von Ramallah nach Ost-Jerusalem. Wie bereits zuvor beschrieben, ist das Reisen im Land nicht ganz unkompliziert. So braucht z.B. Tareq, der in Jerusalem geboren wurde, jetzt eine "Permission", um dort hinzufahren. Er hält sich an alle Regeln und beantragt das Papier rechtzeitig. Abgelehnt! Ohne Angabe von Gründen. Will sagen: Theoretisch kann er nicht ins Studio. Alle Mühe umsonst? Nicht ganz, denn die Leute die dort aufgewachsen sind, kennen die Tricks. Und praktisch ist er dann doch ein paar Stunden später da. Illegal in der eigenen Stadt. Der Rest kommt ohne Probleme durch und wir treffen uns im "Sabreen"-Studio.
Issam Murad ist ein Profi hinterm Pult, ich kenne ihn von einem Festival ein paar Jahre zuvor. Wir richten uns ein, Issam stellt die richtigen Mikrofone an die richtigen Stellen (das ist nicht immer selbstverständlich in dieser Weltgegend), und wir legen los.
Mohameds Musik ist manchmal nicht unkompliziert, aber immer spannend. Wir spielen in drei Tagen die ganze CD "Floor Nr.4" ein. Antoine ist stabil wie immer, die Jungs sind motiviert, und auch ich habe den einen oder anderen guten Moment. Es geht leicht von der Hand. Man lernt sich kennen und schätzen, und zwischendurch biete ich an, den Mix und das Mastering zu übernehmen. Wie mir Mohamed später gesteht, hat er sich nicht getraut, mich darum zu bitten. Na dann halt so.
Ich nehme am Ende eine dicke Festplatte mit nach Hause und stelle die CD fertig.
Mit Mohamed Najem im Sabreen Studio
Kleiner Exkurs: Es ist für mich immer wieder faszinierend was beim Musizieren passieren kann: sind die richtigen Leute beieinander, bekommen alle plötzlich Elefantenohren, hören aufeinander, gehen zurück wenn sie merken, daß der andere einen schönen Moment hat. Sie helfen sich gegenseitig aus der Patsche, wenn etwas schiefzugehen droht. Sie verführen sich gegenseitig, Unerhörtes zu tun. Es ist manchmal wie guter Sex. Nur halt mit Tönen ... Eine rare Qualität.
Ich treffe noch einen alten Bekannten: Mohammad Qutati, ein sehr liebenswürdiger und guter Akkordeonspieler aus Ramallah. Er hat Probleme mit dem Instrument, das ich ihm vor ein paar Jahren über Hohner besorgt habe.
Mein Reparaturset ist immer dabei, und ich bin zwar weit davon entfernt, ein Meister in dieser Disziplin zu sein, aber Kleinigkeiten kann ich selbst reparieren.
Ich schaue schließlich seit zwanzig Jahren Gerhard Herbach über die Schulter, der mit seinen Händen mein wundervolles Instrument gebaut hat. Davon mehr in einem anderen Kapitel. Jedenfalls kriegen wir Mohammads "Käschtle" irgendwann wieder spielfertig und der Akkordeonspieler ist glücklich.
Nach getaner Tat mit Mohammad Qutai
MOHAMED NAJEM
Mohamed Najem ist für mich eine Art Naturmusiker. Sehr fein, sehr sensibel und elegant, und mit einer Eigenart ausgestattet, die man nicht lernen kann: Er hat sich - trotz seiner klassischen Ausbildung - einen Ur-Ton bewahrt. Besonders im tiefen Register, und wenn er leise spielt. Ich kenne keinen, der wie er klingt.
Wa Habibi, ein arabisches Lied über die Passionsgeschichte Christi. Clash of cultures?
Zwischen uns hat es eine Weile gedauert, bis ich ihm klarmachen konnte, daß ich nicht auf den Thron gehöre, auf den er mich immer stellt. Ich selbst nehme nichts wirklich ernst, und am wenigsten mich selbst. Wir sind doch alles normale Menschen, ein Produkt unserer Eltern und der Zeit, in der wir aufwuchsen. Seit siebzig Jahren kein Waffeneinsatz und zumindest in Europa bis in die Neunziger Jahre eine prosperierende Wirtschaft. Wir konnten all das nur tun, weil die Bedingungen stimmten. Und eine gute Portion Glück muß dazukommen. Kurz: Niemand von uns hat einen Grund, sich irgendwas auf irgendwas einzubilden. Okay, den Fleiß haben wir selbst eingebracht.
Mohamed ist nun schon oft bei mir in Aachen gewesen. Er kommt gern in meinen "Musentempel", in dem der Aufnahmeraum auch als Gästezimmer dient. Man schaut auf Bäume und hat den kürzesten Weg zur Arbeit, den man sich vorstellen kann. Ein Meter vom Bett zum Mikrofon.
Inzwischen ist die Situation entspannt. Wir sind zwei Musiker auf Augenhöhe, die sich irgendwo treffen und versuchen, ihr Bestes zu geben, wie 2016 bei der UNESCO in Paris.
Fotografiert mit dem iPad von der Terasse der UNESCO
Und nebenbei ist Mohamed eine der lustigsten Kollegen, die ich kenne. Wäre er nicht Musiker, könnte er ganz problemlos sein Auskommen als Comedian oder Parodist haben. Solltet ihr ihn mal treffen, bittet ihn, einmal den Arafat zu machen. Man lacht sich schlapp. Ich habe, sollte ich ihn jemals erpressen müssen, ein Video davon, aber das kann ich hier nicht teilen, er bekäme Probleme,