"The accordion is the most erotic instrument ever made. So many buttons, each an erogenous zone in itself. The bellow resists and submits at once, just like a woman. Pity so much unerotic crap is played on it."
Pete Townshend
Hohner Gola 454 M III
Pete Townshend hat Recht! Was er aber vermutlich nicht beurteilen kann, weil er selbst nicht spielt, ist dies: Am Bäuchlein entstehen wunderbare Schwingungen, je nach Tonlage und Register. Man
hat das Instrument ja ganz nah bei sich, man wiegt sich zusammen, und man atmet zusammen. Das hat schon etwas Intimes. Wahrscheinlich spiele ich deswegen so gern tief mit dem 16-Fuß-Register
...
Das Akkordeon ist schon ganz früh bei mir und begleitet mich durch die Kindheit (davon mehr in einem späteren Kapitel). Dann aber, als Jugendlicher und junger Erwachsener, ist es völlig uncool.
Man braucht plötzlich Hammondorgeln, E-Pianos und Synthesizer. Schließlich will man mit der Zeit gehen. In der Zeit habe ich all das besessen und gespielt, aber das Akkordeon ist quasi immer "im
musikalischen Handgepäck" mit dabei.
Mitte der 90er Jahre treffe ich die weiseste Entscheidung meines Lebens. Den Anstoß dazu gibt mir ein Konzert des wunderbaren Toots Thieleman. Wie er mich da, schon ziemlich betagt, mit seiner
kleinen Mundharmonika an die Wand spielt und zum Heulen bringt, das ist schon sehr besonders. Ich habe beim Musizieren mit der Hammond genug Möbeltransporte organisiert und an Synthesizer-Knöpfen
gedreht, das mache ich ab jetzt nur noch als Soundengineer. Was meine Musik betrifft, will ich's ab jetzt einfach, back to the roots. Und heute weiß ich, was diese starken Regungen in mir
hervorruft, wenn ich solche Instrumente höre. Es ist die Tonerzeugung und der Klang, der durch diese Aerophone entsteht.
Die freischwingende Durchschlagzunge (welch ein schönes Wort ...) - ein für Interessierte sehr lesenswerter Wiki-Artikel ist hier.
DAS GROßE INSTRUMENT
Während einer Tournee mit Reinhard Mey machen wir Station in Trossingen. Ich habe ein paar Stunden frei und spreche bei Hohner vor. Im damals noch existierenden Showroom darf ich die Akkordeons ausprobieren. Ich greife zu dem Instrument, das mich optisch am meisten anspricht. "Aha, der Herr hat Geschmack", sagt der Vorführer. Er schnallt die Riemen ans Instrument, ich lege es um und spiele einen einzigen Ton. Ein mittleres G im 8-Fuß Casotto-Register. In dieser Sekunde werden mir zwei Dinge klar: Erstens: Ich bin verliebt, und zweitens: Es wird nicht ganz billig.
Ich spiele ein wenig. Der Ton ist, verglichen mit dem Instrument, das ich besitze, von erhabener Schönheit. Vonwegen "Le piano des pauvres". Das Wort Samt beschreibt die Klangfarbe wohl am besten. Der Gleichlauf der Tasten ist sensationell, die feine Ansprache ebenso. Eigentlich will ich das "Käschtle" gar nicht mehr hergeben, aber daraus wird nichts. Man kann diese Instrumente nur bestellen, und sie werden dann für einen gebaut. Das dauert ein Weilchen, je nach Auftragslage.
Ich besorge mir die nötigen Kontaktdaten und gebe einige Tage später eine GOLA 414 in Auftrag, die ich mir ein knappes Jahr später in Trossingen abhole.
Foto: Arnaud Nilwik
ENDLICH!
Mit diesem Instrument beginnt -ich übertreibe nicht- ein neues Leben. Musikalisch habe ich ja bereits einiges auf dem Buckel und viel Erfahrung, aber wie man das auf ein Akkordeon überträgt, danach muß ich erst suchen. Und ich suche. Ich übe wie besessen und schreibe mir Stücke. Und die alte Weisheit stimmt: Was man viel übt, darin wird man irgendwann besser. Und immer mehr wird mir klar, daß ich auf keinerlei Beschränkungen Rücksicht nehmen muß. Ich spiele einfach was ich will und wie ich will. Als Autodidakt habe ich das ja immer gemacht und die Zeit mit der Hammond hilft. Außerdem bin ich kein Anfänger.
Jetzt brauche ich Mitstreiter. Ich finde sie in Steffen Thormählen und Antoine Pütz, beides "Youngster" frisch von der Musikhochschule Maastricht, richtig gut und musikalisch. Der Saxophonist Heribert Leuchter (weder verwandt noch verschwägert) kommt dazu. Viel Luft in der Musik, und außer mir kein Instrument, das Akkorde machen kann. Und so machen wir im "Chroma", meinem großen Studio, das ich seit 1986 mitbesitze, meine erste CD. Sie heißt "SPARITO".
Kleiner Exkurs: Ich mag meine eigene Musik nicht gern anhören. Also eigentlich mag ich überhaupt keine Musik von anderen Leuten anhören, und meine Musik kommt mir schnell vor wie die Musik von anderen Leuten, weil ich schnell vergesse, daß ich das war. Klingt komisch, ist aber so.
Gut, die alten Meister, da mache ich eine Ausnahme, die höre ich manchmal gern. Aber die eigene CD ist eine statische Angelegenheit. Ein Dokument, das die Zeit widerspiegelt, in der es entstanden ist. Ich höre bei meinen Sachen eigentlich nur Dinge, die ich einen Monat nach Fertigstellung besser könnte, in jeder Hinsicht. Kein Vergnügen. Aber wenn ich heute dann doch ab und an in SPARITO reingerate, weil es aus irgendeinem Grund sein muß, kommt sie mir einerseits wie ein wildes Sammelsurium vor. Andererseits höre ich Aufbruch. Meinen eigenen, und den meiner Mitstreiter. Wir spielen die ersten kleinen Gigs in den Clubs der Umgebung, lernen miteinander umzugehen, erspielen uns eine gewisse Routine. Das geht eine ganze Weile so, bis ich irgendwann einen Anruf bekomme ...
ULLI
Ullrich Pesch ist ein alter Freund, mit dem ich über Dinge reden kann, über die ich normalerweise lieber schweige. Und der seit Jahrzehnten das Kulturprogramm der Burg Wilhelmstein macht. Ein erfahrener Veranstalter mit der Nase im Wind, der einen eigenen Geschmack hat und sich niemals von irgendeiner Comedywelle von seinem Stil abbringen läßt. Er hat einen so guten Riecher, daß es ihm Anfang der 2000er Jahre zum Beispiel gelingt, den "Buonavista Social Club" auf die Burg zu holen, zu einer Zeit, als die Herren noch bezahlbar waren. Und die Liste der Künstler, die dort im Lauf der Jahrhunderte auftgetreten sind, liest sich wie das Who is Who der Jazz- und Weltmusik. Er ist ein großer, mein Freund Ulli.
Mit Ulli Pesch 2011
Er möchte mich sehen und mit mir über ein Projekt sprechen. Wir treffen uns also, und er schlägt vor, uns im kommenden Sommer auf der Burg zu veranstalten. Ich winke ab, viel zu groß. Kleine Clubs wären mir für den Anfang lieber. Ich bin damals nicht mit dem Selbstbewußtsein gesegnet, so etwas wie die Burg wirtschaftlich für machbar zu halten. Aber Ulli hat neben vielen anderen guten Eigenschaften die eine ganz besondere: Er ist hartnäckig und glaubt daran. Irgendwann glaube ich ihm und sage zu. Und in der Zeit darauf muß ich ihm glauben, weil das Konzert überall angekündigt ist, der Vorverkauf läuft. Kurzum: Ulli behält Recht, es wird ein großartiger Abend, die Hütte ist voll, und es ist der Anfang einer langen und schönen Geschichte zwischen der Burg und mir. Und ganz nebenbei vermittelt er mir noch die Agentur, mit der ich bis heute zusammenarbeite.
Ulli ist 2015 gestorben. Ich war bis kurz vor seinem Tod bei ihm und habe auf seiner Beisetzungsfeier gespielt. Ein Verlust, den ich nur mit Widerwillen hingenommen habe. Rest in Peace, mein Freund, ich habe Dir viel zu verdanken!
Foto: ML
DIE AKKORDEONBAUER
Zwei Jahre nach Erhalt meines ersten Instrumentes habe ich mir ein weiteres Akkordeon bestellt: Eine GOLA 454/ MIII. Das hat auf der linken Seite neben den 120 Standardbässen noch eine "Überholspur" mit drei weiteren Reihen Melodiebässen, die chromatisch sortiert sind. Wenn man das Innenleben eines Akkordeons noch nie mit eigenen Augen gesehen hat, mag man's nicht glauben: ein solch großartiges Instrument, ein Meisterwerk der Mechanik, Tausende Bauteile aus verschiedensten Materialien, alle und alles auf den Zehntel Milimeter aufeinander abgestimmt. Ein für normale Menschen wie mich nicht zu verstehendes Gestänge und Hunderte winzige Federchen im Bassteil. Unglaublich viele Details ergeben am Ende ein Wunder. Und das Wunder wird zum allergrößten Teil von Händen hergestellt.
Die Hände gehören in meinem Fall den beiden Meistern Gerhard Herbach und Sigmar Gothe bei Hohner in Trossingen. Gerhard betreut mein Instrument und mich gleich dazu. Ab und zu brauchen wir beide halt Betreuung. Die vielen Klimazonen, die Unterschiede in der Luftfeuchtigkeit, manchmal in kurzer Zeit, das Reisen, und nicht zuletzt meine manchmal etwas brachiale Art zu spielen, hinterlassen Spuren. Die müssen in Abständen beseitigt werden. Und zumindest beim Akkordeon ist das möglich ...
So ist es mir ein Vergnügen, alle ein- bis anderthalb Jahre zur Instrumentenpflege in die Hauptstadt des Akkordeons zu reisen. Sollte ich es mir erlauben, mit einem ungeputzten Instrument zu erscheinen, zieht Gerhard mir die Ohren lang. Es ist auf gewisse Weise auch immer noch sein "Baby". Aber wenn ich es von ihm zurückbekomme, mit dem gegrummelten Hinweis "ich hatte mal kurz die Bassmechanik draußen, da war was", dann weiß ich, er hat Stunden und Tage damit verbracht, es mir so perfekt wie irgendmöglich zu machen. Und es sieht aus wie frisch aus dem Laden. So sind Meister.
Wir wurden über die Jahre Freunde.
Kleiner Exkurs: Der Schwabe an sich hat das mit dem Loben nicht so richtig in die Wiege gelegt bekommen. "It g'meckert 'sch g'nug g'lobt", so sagt es ein uraltes schwäbisches Sprichwort.
Nach einem meiner Konzerte irgendwo im Ländle, bei dem Gerhard in der ersten Reihe sitzt (was einigermaßen beängstigend ist), kommt der riesenhafte Kerl nachher zu mir und sagt etwas verklemmt:
"Högschten Reschpekt!" Mehr geht im Ländle nicht.
Aber ich weiß das zu schätzen, und er weiß umgekehrt sicher, daß ich seine Arbeit ebenfalls über die Maßen anerkenne, und daß auch ich ihm "högschten Reschpekt!" zolle. Und Gerhard ist einer der wenigen, die im Aufnahmeraum meines Studios schlafen dürfen ...
Gerhard
Herbach
Sigmar Gothe
FAZIT
Und so fügen sich denn manchmal die Dinge, wenn man von der Sonne beschienen im Juni geboren wurde. Das Akkordeon hat mein Leben geprägt und begleitet, und so lange ich in der Lage bin, es zu tragen, werde ich's auch spielen. Wie mein Freund Kinan Azmeh einmal ebenso weise wie zurückhaltend sagte: "F*ck plan B". Dieses Instrument bescherte und beschert mir bis heute die glücklichsten Momente und unendlich viele spannende Begegnungen. Ich reise. Mein Kindertraum ist in Erfüllung gegangen, ich darf das tun, was ich offenbar ganz gut kann und was mich glücklich macht. Und da ich auch vorsichtshalber auch nichts anderes kann, mach' ich's halt. So gut ich kann.
Und so lange ich kann.
Ich danke allen, die mir geholfen und mir das ermöglicht haben!
D'R MEISCHTER
Foto:
ML
Mit M3 - Melodiebass